Bio-Vinyl

Bio-Vinyl: Schallplatte im Anschnitt, Nahaufnahme

Foto: Optimal Media

Bevor wir uns Vinyl aus neuen Materialien widmen, die unter Handelsnamen wie „Ecovin“ oder eben „BioVinyl“ in den Handel kommen, lohnt sich ein etwas detaillierter Blick darauf, wie das Rohmaterial zur Pressung von Schallplatten entsteht. Dafür braucht man Rohstoffe, die aus verschiedenen Prozessen stammen. Einer davon ist Polyvinylchlorid, kurz PVC. Der Begriff Vinyl suggeriert es zwar, trotzdem besteht das Granulat nur zu etwa 80 bis 85 Prozent aus PVC. Weil der Hauptbestandteil der Pressmasse PVC ist, konzentrieren wir uns darauf. PVC benötigt zwei Ausgangsstoffe: Chlor und Ethylen. Chlor wird in der Regel in einem Elektrolyseverfahren aus Steinsalz gewonnen. Bei in Europa gefertigtem Rohmaterial stammt das Salz zum Teil aus Deutschland, entweder aus dem Werra-Gebiet oder aus den Salzfeldern von Epe in der Nähe der niederländischen Grenze. Die Salzschichten können bis zu 1.400 Meter tief liegen. Das Salz wird in Wasser gelöst, nach oben gepumpt und über eine Pipeline zum Hersteller transportiert. 

Ethylen wiederum wird aus Roh-/Erdöl in einem Steam-Cracking-Verfahren hergestellt. Steam Cracking ist ein petrochemischer Prozess, bei dem gesättigte Kohlenwasserstoffe in kleinere, ungesättigte Kohlenwasserstoffe zerlegt werden – die sogenannten Alkene oder Olefine, einschließlich Ethan (auch als Ethylen bezeichnet) und Propen (oder Propylen). Ethylen kann aber auch aus anderen Rohstoffen hergestellt werden, die Kohlenwasserstoffe enthalten, etwa Holzspänen oder altem Frittierfett. Solche Quellen sowie Industriegase sind in der Herstellung von erdölfreiem PVC besonders interessant. In einem weiteren Schritt reagiert Chlor mit Ethylen, um EDC (Ethylen-Dichlorid) zu bilden. Dieses EDC dient als Rohstoff zur Herstellung von VCM (Vinylchlorid-Monomer), das dann über sogenannte Suspensions- oder Emulsionspolymerisation zu PVC polymerisiert. 

Die Umwandlung von EDC zu VCM setzt Salzsäure (HCl) frei, die in die Herstellung von EDC zurückgeführt werden kann. EDC selbst kann auf zwei Arten hergestellt werden: durch die direkte Chlorination, bei der das reine Chlorgas mit Ethylen reagiert, oder abber durch Oxyhydrochlorination – hier dient Salzsäure als Ausgangsmaterial, und es wird im Prozess Sauerstoff zugesetzt. Bei dieser Produktionsmethode kann recyceltes Chlor zum Beispiel aus der Verbrennung von PVC-Abfall verwendet werden. Rohes PVC wird dann in Pelletform an einen sogenannten Compounder geliefert. Dort mischt man die Rohpellets mit verschiedenen Zutaten, um sie ihrem späteren Zweck anzupassen. Dabei werden je nach Anforderungen etwa Farbpigmente, Weichmacher, thermische Stabilisatoren oder Steinmehl zugesetzt und das entsprechende Granulat dann an die Hersteller verschiedener Produkte weitergeschickt: Rohre, Verkehrsinseln, Bodenbeläge, Fensterrahmen, Armaturenbretter von Autos, um nur einige zu nennen. 

Für die Herstellung von Pressmassen für Schallplatten ist ein sehr hohes Maß an Erfahrung, eine saubere Umgebung und ein genaues Mischverhältnis nötig, während die nachgefragten Mengen verhältnismäßig gering sind. Deshalb gehen nur wenige Lieferanten diesen Weg. Die niederländische Firma PlastChem hat 2021 ein neues Werk eröffnet, in dem in modernster Technologie solches Material gefertigt wird. Seit 2023 ist nun von diesem Hersteller eine Pressmasse erhältlich, die unter dem Handelsnamen BioVinyl verkauft wird. Hier stammt der Anteil S-PVC, der etwa 35 Prozent am Pressgranulat beträgt, aus Rohmaterial, zu dessen Herstellung man Ethylen verwendet, das aus recyceltem Frittierfett gewonnen wird. In den nächsten Monaten werden schrittweise auch andere Teile der Pressmasse durch PVC und sogenannte Copolymere ersetzt, deren Zwischenprodukte ebenfalls nicht mehr aus Erdöl hergestellt werden. Chemisch handelt es sich also nicht um ein neues Material. Die Pressmasse ist in der Zusammensetzung mit dem uns bekannten „Virgin Vinyl“ absolut identisch: Es handelt sich nach wie vor um PVC, weshalb es also bei den Platten auch keine Qualitätsunterschiede geben kann. Das PVC selbst wird allerdings wesentlich nachhaltiger gefertigt, und die Prozesse werden bei den Verarbeitern unabhängig als Kreislauf zertifiziert, nämlich durch das anerkannte ISCC-Plus Zertifikat. 

Der Hersteller PlastChem liefert BioVinyl ausschließlich an Presswerke, die sich ebenfalls zertifizieren lassen. Durch die Ethylen-Gewinnung aus recycelten Materialien verringert sich außerdem der CO2-Fußabdruck um bis zu 90 Prozent, was das fertige Produkt wesentlich klimafreundlicher macht. Darüberhinaus können die Platten den etablierten Plastik-Recycling-Kreisläufen zugeführt werden, die für PVC je nach Land und Sammelschema gut bis sehr gut aufgestellt sind. Auch wenn Platten aus 100 Prozent recycelten Produktionsabfällen – man spricht von „Re-Vinyl“ – in der auf die einzelne Platte gerechneten Umweltbilanz immer noch die Nase vorne hat, ist BioVinyl ein Schritt in die richtige Richtung. Vor allem, weil es durch die identische Verarbeitung keine aufwendigen Umrüstungen der Produktionsprozesse in den Presswerken erfordert und eine identische Qualität garantiert ist. In den nächsten Jahren wird sich das erdölfreie PVC nicht nur bei Platten als Standard etablieren. Es wird vor allem bei medizinischen Produkten wie den Beuteln für Bluttransfusionen bereits eingesetzt.