Das Abspielen von Schellackplatten

Schellack-Schallplatte auf Plattenspieler Detailansicht

Foto: Pierre Gui/ Unsplash

Schellackplatten sollte man nicht auf einem normalen Plattenspieler abspielen. Das Risiko der Zerstörung der Nadel wäre zu hoch und die Klangqualität unterirdisch. Zunächst mal sind Schellackplatten nicht für eine elektromagnetische Abtastung gedacht, ihre Abtastung erfolgte in ihrer Hochphase zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts grundsätzlich mechanisch. Dabei wurde ein Abtastkopf verwendet, der zwischen 100 und 180 Gramm wog und die Toninformation rein mechanisch über eine angeregte Membran an einen Trichter weitergab. Dieser fungiert als sogenannter Impedanzwandler und Exponentialhorn und erhöht durch seine Form die Lautstärke. Es gab zwar später auch elektrische Abtaster für Schellackplatten, aber sie blieben eine Ausnahme. Grundsätzlich ist eine elektromagnetische Abtastung mit heutigen Plattenspielern machbar, erfordert allerdings die Verwendung einer speziellen Nadel und außerdem die Möglichkeit, die Abspielgeschwindigkeit auf 78 rpm einzustellen, die für die meisten Schellackplatten zutrifft.  

Diese Empfehlung gilt aber nicht für alle Schellacks, da sowohl die Abspielgeschwindigkeit variieren kann als auch die Art der Aufzeichnung selbst. Schellacks gibt es nämlich mit Tiefenschrift und Seitenschrift. Erstere ist zwar heute sehr selten, aber immer noch auffindbar. Sie wurde fast ausschließlich bei Platten der Firma Pathé verwendet, die auf einem speziellen Grammofon abgespielt wurden, dem Pathéphon. Die Abtastung mit heutigen Stereosystem und speziellen Nadeln ist möglich, jedoch darf unter keinen Umständen ein Monosystem verwendet werden, das lediglich Seitenschrift abtastet. Diese wiederum wurde auf der weit höheren Anzahl der Schellacks verwendet und geht auf die Erfindung des Plattenpioniers Emil Berliner zurück, der das Prinzip 1895 patentierte und 1898 die erste Serienfertigung startete. Die Wahrscheinlichkeit, so eine Platte in den Händen zu halten ist wesentlich größer, weshalb wir uns im Folgenden auf diese Variante beschränken wollen.  

Die besondere Nadel, die heute in den meisten Fällen aus einem Diamanten besteht, ist nötig, um die höhere Rillenbreite adäquat abzutasten. Schellacks haben eine sogenannte Normalrille, deren Rillenbreite etwa 120 µm beträgt, mit einem Rillengrundradius von 30 µm – im Gegensatz zur bei Vinyl-Schallplatten üblichen Mikrorille mit etwa 55 µm Rillenbreite und 10 µm Rillengrundradius. Die Abtastung auf einem Grammofon selbst erfolgte bei einer Schellackplatte mit einer Stahlnadel, die in der Regel nur einmalig verwendet wurde. Das heißt, man wechselte die Nadel nach jeder Umdrehung. Die Nadeln selbst konnte man in großen Gebinden kaufen und findet sie heute immer noch, vorwiegend in hübschen Dosen zu 50 oder 100 Stück, meist auf Flohmärkten. Was zunächst unglaublich klingt: die Stahlnadeln sind weicher als das Plattenmaterial selbst. Bereits nach ein paar Umdrehungen ist die Nadel auf die jeweilige Rillencharakteristik eingeschliffen. Eine frische Nadel ist rund geschliffen und wird zum Ende der Plattenumdrehung eine Keilform angenommen haben und nicht mehr exakt abtasten. Die Spielzeit einer Schellackplatte selbst beträgt nur einige Minuten, je nach Größe und Abspielgeschwindigkeit. Hier ist es wichtig zu wissen, dass es sowohl bei Größe als auch bei Geschwindigkeit nie eine Norm gab. Daher muss bei früheren Platten das Tempo am Gerät von Hand justiert werden, nach Gehör. Bis etwa 1948 hatte sich aber ein Standard bei 78 rpm eingebürgert, der besonders durch drastische Verbesserungen des Grundmaterials Aufzeichnungen nahe der HiFi-Norm erlaubte.  

Apropos Material: Schellack selbst ist ein natürlicher Rohstoff, der aus Ausscheidungen der Lackschildlaus gewonnen wird. Diese Tierchen züchtet man fast ausnahmslos in Südostasien, und die Industrie zur Schellackgewinnung war einer der Hauptgründe für den immensen wirtschaftlichen Aufschwung dieser Gegend zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Schellack selbst wurde damals vor allem in Beschichtungen und als Vorläufer heutiger Plastikerzeugnisse eingesetzt. Es ist nicht konduktiv, weshalb es nicht zuletzt bei der Elektrifizierung westlicher Gesellschaften eine wesentliche Rolle spielte, als Isolator und etwa für Lichtschalter und Steckdosen. Seine extreme Härte und thermische Verformbarkeit machen Schellack außerdem zu einem wichtigen Bestandteil bei Oberflächenbeschichtungen. Dort wird es heute noch eingesetzt – in Lasuren, Farben und Lacken. Zur Schallplattenproduktion wurde kein reiner Schellack eingesetzt. Der Werkstoff war hier lediglich ein Bindemittel, das mit Zementmehl, Ruß und Baumwollfasern zu einem feinen Pulver gemahlen, mittels Wasserdampf erhitzt, also „extrudiert“ und als breiartige Masse zu dünnen Platten ausgewalzt wurde, in die man dann die Klanginformation presste.  

Das Verfahren mit Schellack unterscheidet sich also von der heutigen Vinyl-Produktion, bei der das Extrudieren und Pressen der Masse nur ein Arbeitsgang ist. Schellackplatten sind viel spröder und zerbrechen leicht, was etwa auch ihren Versand erschwert. Die Klangqualität ist hörbar schlechter als bei Vinyl-Platten. Sie haben aber trotzdem einen gewissen Charme, der immer noch viele Liebhaber findet und eine eigene Sammlerszene begründet hat. Schellacks wurden übrigens bis in die 50er noch in Europa gepresst, in asiatischen Ländern etwas länger und in Südafrika sogar bis 1973. Mit sehr viel Glück kann man in Indien noch Beatles- oder Rolling-Stones-Platten auf Schellack finden, die mittlerweile allerdings den Gegenwert eines Mittelklasse-Autos haben dürften.