Foto: Gunnar Schulz
Wir beziehen uns in diesem Artikel auf Japan-Pressungen, die bis Ende der 80er gefertigt wurden, bis nämlich die großen japanischen Presswerke JVC und Sony ihre Pforten schlossen und lediglich das unabhängige Presswerk Toyokasei übrigblieb, das bis heute aktiv ist. Es geht also weniger um „Platten aus Japan“, sondern um die Pressungen bestimmter Hersteller, vor allem um die von JVC, sowie die verwendeten Master und Schnitte. Besondere Marktsituationen spielen ebenso eine Rolle: Im Gegensatz zu den Volkswirtschaften der westlichen Welt gibt es im japanischen Markt eine Preisbindung für Tonträger, bei der der Verkaufspreise, der sogenannte Teika, festgelegt ist und behördlich überwacht wird. Die Preise werden demnach auf die Produkte aufgedruckt beziehungsweise auf einen Papier-Umleger, den berüchtigten „Obi“.
Die Preise der Platten (und auch CDs) sind verhältnismäßig hoch, höher als die für Importware. Das führt dazu, dass japanische Labels ihre Veröffentlichungen aufwerten müssen, damit Musikfans die Platten nicht aus dem Ausland bestellen. Das passiert meist mit zusätzlichen Bonustracks, speziellen Versionen einzelner Aufnahmen oder Verpackungen in hochwertigerem Druckverfahren oder mit besseren Materialien sowie einem besonderen Mastering. Die Preisbindung gibt den Labels zudem mehr Investitionsspielraum. Besonders im Klassik- und Jazzbereich begründet sich hier der besondere Ruf von japanischen Veröffentlichungen. Dem gegenüber stehen jedoch eine Vielzahl von Pop-Veröffentlichungen, die vor allem in den 70ern und frühen 80ern von Tapes der dritten Generation angefertigt wurden und durchaus weniger brilliant klingen können als amerikanische oder europäische Master. Insofern kann der Mythos Japan-Pressung auch mal eine Mogelpackung sein.
Zu den Pressungen an sich: Bereits in den 70ern verwendeten japanische Presswerke fast nur sogenanntes Virgin Vinyl für die Herstellung ihrer Platten, was auch in einer entsprechenden Industrienorm festgeschrieben wurde, die es vergleichbar in der westlichen Vinyl-Industrie nicht gibt. Platten, die dieser Norm genügen, enthalten mitunter das JIS-Logo, kurz für Japan Industrial Standard. Heute ist die Verwendung von Virgin Vinyl genereller weltweiter Standard, auch als Antwort auf die weitaus höheren Ansprüche der Musikhörer (wobei aktuell verschiedene Presswerke aus ökologischen Gründen wieder recycletes Vinyl anbieten – aber das nur am Rande). Hinzu kommen zwei Innova¬tionen des japanischen Marktes: In den 70ern führte JVC einen neuen Werkstoff ein, der unter dem Begriff Super Vinyl vermarktet wurde und härter war als die bekannten und bis heute gebräuchlichen PVC/PVA-Gemische. Das Material begründete den Ruf japanischer Pressungen, arm an Hintergrundgeräuschen zu sein und geringere Abnutzung aufzuweisen.
Nötig geworden war der Einsatz des neuen Stoffes mit der Markteinführung von quadrofonischen Platten, bei denen zusätzlich zur Klanginformation im Bereich um 30 kHz ein Steuersignal aufgezeichnet werden musste. Auf herkömm¬lichem Vinyl sind diese Signale mit der Zeit durch Abnutzung nicht mehr abtastbar. So wurde Super Vinyl auch aus betriebswirtschaftlichen Gründen das Standardmaterial bei JVC. Diese Platten sind heute noch als „Coke Vinyl“ bekannt, weil sie ähnlich einer Cola eher dunkelbraun als schwarz und leicht durchscheinend sind. Die Rezeptur hielt JVC bis zur Schließung des Presswerks 1988 geheim, mög¬licherweise auch, weil ihre Herstellung hochtoxisch war und heute ohnehin keine Freigabe mehr bekommen würde.
Natürlich befeuert diese Geheimhaltung bis heute hanebüchene Legenden, etwa die, dass sie angeblich Walöl enthalte und aus tierschutzrechtlichen Gründen heute nicht mehr produziert werden dürfe. Eine weitere, für den legendären Ruf japanischer Platten ursächliche Innovation kommt ebenfalls aus den Hause JVC und wurde unter dem Begrif UHQR (Ultra High Quality Record) bekannt und bezeichnet Platten, die perfekt flach auf ungefähr 200 Gramm schwerem Vinyl gepresst wurden. Sie enthalten kein Profil, also keine übliche Vertiefung im Bereich der Etiketten, und keine Randwulst. Physikalisch lässt sich nicht belegen, dass diese Besonderheit klanglich nennenswerte Auswirkungen hat. Die Platten selbst wurden jedoch in Zyklen von zwei bis drei Minuten gepresst, im Gegensatz zu den bis heute üblichen 25 bis 30 Sekunden bei herkömmlichem Vinyl. Das sorgte für eine gleichmäßigere Verteilung der Pressmasse und verringert das Risiko sogenannter Auspressungen spürbar. Betriebswirtschaftlich sind solche Zyklen allerdings nur sinnvoll, wenn die Platten zu einem Vielfachen des üblichen Preises verkauft werden.
Der exzellente Ruf von UHQR-Pressungen gründet sich allerdings noch viel stärker auf den von MFSL (Mobile Fidelity Sound Lab) vermarkteten Veröffentlichungen, die neben der Pressung als UHQR vor allem ein besonderes, hochdynamisches Mastering erfuhren. Das amerikanische Presswerk QRP versucht im Übrigen seit einigen Jahren die Qualität dieser Pressungen wiederzubeleben. Im Zusammenspiel vieler Faktoren kann also konstatiert werden, dass japanische Veröffentlichungen mitunter zu Recht einen legendären Ruf besitzen. Das sollte aber nicht generalisiert werden. Vielmehr entscheiden verschiedene Einflussgrößen wie Material, Master und Pressung darüber, wie gut eine Platte japanischer Herkunft letztlich klingt.