Lautsprecher einspielen

vintage HiFi-Receiver mit Plattenspieler und Lautsprechern links und rechts

Das Einspielen eines Lautsprechers ist einerseits unumgänglich, bedeutet andererseits aber keinen wirklichen Mehraufwand. Im einfachsten Fall erreichen die neuen Boxen einfach durch die normale Nutzung mit der Zeit ihre ideale Qualität. Dazu muss man wissen: In einem Lautsprecher sind zahlreiche mechanische und elektrische Teile verbaut, deren genaue Eigenschaften einer gewissen anfänglichen Alterung unterliegen, um dann über viele Jahre stabil zu bleiben. Was man davon bemerkt, ist eine manchmal nur subtile, manchmal sehr deutliche Änderung des Klangcharakters während der ersten Betriebsstunden. Hat er seinen stabilen Zustand erreicht, klingt ein guter Lautsprecher ausgewogener, angenehmer und oft basskräftiger als im Neuzustand. Einmal erreicht, bleiben diese Änderungen dann auch normalerweise erhalten. Mitunter brauchen Boxen aber nach langer Spielpause – etwa ein paar Monate oder Jahre – erneut ein Weilchen, um zu alter Frische zurückzukehren.

Darüber, wie lang die Einspielphase dauert, gibt es sehr unterschiedliche und oft eher anekdotische Aussagen. Auch bei weit auseinanderliegenden Schätzungen, die von „ein, zwei Plattenseiten“ bis zu „Hunderte nvon Betriebsstunden“ reichen können, haben möglicherweise beide recht. Denn das Einspielverhalten einer neuen Box ist von ihrem Bauprinzip und den verwendeten Teilen abhängig, zusätzlich aber auch von den Herstellungsbedingungen. Hochwertige Lautsprecher etwa laufen zur abschließenden Qualitätskontrolle oft stunden-, mitunter tagelang. Da ist es nur konsequent, dass die sich zu Hause nicht mehr so drastisch verändern wie günstigere Modelle, die im Werk nur einen kurzen Funktionstest durchlaufen.

Die Frage, was physikalisch in der Einspielphase passiert, haben wir Karl-Heinz Fink gestellt. Mit seiner Firma Fink Audio Consulting entwickelt der Essener schon seit Jahrzehnten Lautsprecher für renommierte Hersteller in aller Welt und unterhält mit Fink Team und Epos auch zwei eigene High-End-Marken. Fink zufolge sind es primär mechanische Effekte an den eigentlichen Treibern, die für die anfänglichen Veränderungen sorgen. Bei Tief- und Mitteltönern steht etwa die Zentrierspinne buchstäblich im Zentrum des Geschehens. Sie besteht aus kunstharzimprägniertem Gewebe und ist verantwortlich für die Federkraft um die Schwingspule des Treibers herum, die dessen akustische Eigenschaften mitprägt. Im Betrieb wird die Zentrierung gerade bei Tieftöneren beansprucht, man spricht auch von „durchgewalkt“ Dabei ordnen und verschieben sich die Fasern im Kunstharzbett ein wenig, was die Federwirkung weicher werden lässt.

Dieses Lockern der Tieftöner-Aufhängung ist der einzige Einspiel-Effekt, den man problemlos auch messtechnisch dokumentieren kann. Er macht sich zum Beispiel in einer leichten Verschiebung der Resonanzfrequenz einer Bassreflex-Abstimmung bemerkbar. Oder subjektiv im „besseren Bass“, der eben erst nach dem Einspielen wirklich exakt den Vorgaben des Entwicklers entspricht. Im Mittel- und Hochtonbereich gibt es ähnliche Effekte, denn auch die dafür zuständigen Treiber verfügen über elastische Aufhängungen, die das Resonanzverhalten beeinflussen. Nur sind sie dort deutlich schwerer messtechnisch aufzuspüren – was freilich nicht bedeutet, dass man sie nicht hört. Oft machen sich Einspieleffekte besonders deutlich am unteren Ende des Übertragungsbereichs eines Treibers bemerkbar. Bei einer Dreiwege-Box beträfe das etwa den unteren Mittelton, wo sich Tief- und Mitteltöner mit ihrem jeweiligen Output addieren.

Je geringer der Hub, den eine Lautsprechermembran für einen bestimmten Pegel vollführen muss, desto länger dauert erfahrungsgemäß die Einspielphase. Das leuchtet auch ein und erklärt, warum Horntreibern oft geradezu biblische Reifungszeiten nachgesagt werden. Ein Beispiel aus der Praxis: Den Tannoy-Monitor Legacy Eaton hatten wir für die Vorstellung in MINT 35, also Anfang 2020, mit gut 100 Betriebsstunden zum Test bekommen. Im Anschluss kaufte ich das Paar, arbeite seitdem damit und kann rückblickend sagen: Ein paar hundert Stunden mehr hätten es ruhig sein dürfen. Hier kommen zwei einspielintensive Baugruppen zusammen: ein straff eingespannter Tieftöner mit Gewebesicke und harter Membran aus handgeschöpfter Pappe sowie in dessen Zentrum ein Hochtonhorn mit großem Titan-Druckkammertreiber.

Das Durchwalken der beweglichen Teile erfordert eine gewisse Lautstärke. Wer seine Boxen nachbarschaftsfreundlich und schnell einspielen will, kann sich eines bewährten Tricks bedienen: Man stellt beide Lautsprecher einander gegenüber, so dicht, wie es technisch möglich ist. Dann verpolt man eines der beiden Anschlusskabel und lässt Musik laufen – möglichst in Mono. Die Schallemissionen der beiden Boxen, die nun gegenphasig arbeiten, löschen einander weitestgehend aus. Man hört je nach Bauweise meist nur ein dezentes Murmeln, während die Treiber der beiden Lautsprecher Schwerarbeit leisten. Aber Vorsicht: Die Auslöschung funktioniert so gut, dass man die tatsächlichen Pegel und Belastungen leicht unterschätzten kann. Wer sich unsicher ist, sollte die Lautstärke zunächst in normaler Aufstellung auf „laut, aber noch sauber und unangestrengt“ stellen und die Boxen erst dann zusammenrücken. Wir wollen sie ja einspielen und nicht zerstören.