Foto: Gunnar Schulz
Als Cut-outs bezeichnet man Schallplatten, CDs oder auch andere Datenträger, die von den Plattenfirmen oder Vertrieben an den Covern mit einem sichtbaren Defekt versehen werden. Das geschieht bei Platten meist, indem man eine Ecke des Covers abschneidet, ein Loch ins Cover stanzt oder das Cover ansägt beziehungsweise einschneidet. Nicht ablösbare Sticker, Stempel oder das Zerstören des Barcodes sind ebenso verbreitet. Bekannt ist das Verfahren aus dem Buchhandel. Dort versieht man Bücher mit dem Stempel „preisreduziertes Mängelexemplar“ und darf sie dann billiger verkaufen. Aus gutem Grund: Für Bücher gibt es hierzulande eine gesetzlich verankerte Preisbindung, und eine solche Kennzeichnung als Mangelware ist die einzige Möglichkeit, den festgelegten Verkaufspreis zu unterschreiten.
Bei Vinyl gibt es diese Bindung nicht, die Händler können den Preis frei festlegen. Warum gibt es bei Platten also solche mutwilligen Wertminderungen? Hier lohnt sich ein Blick in die Vertriebsstrukturen von Tonträgern, die sich allerdings im Laufe der Zeit insbesondere bei Platten immer wieder gewandelt haben. Das ist einer der Gründe, warum es sich bei Cut-outs vorwiegend um Veröffentlichungen aus den 80ern und 90ern handelt. Doch zunächst zum grundsätzlichen Verfahren. Die Labels und ihre Vertriebe geben die Ware zu einem mehr oder weniger frei verhandelten Preis an den Handel ab. Hier gibt es je nach Abnahmemenge oder Kundenbindung verschiedene Boni, von denen Händler, besonders Handelsketten mit hohen Verkaufszahlen, stark profitieren. Wie im Handelsgeschäft üblich wird ein großer Teil der veröffentlichten Tonträger als Kommissionsware verkauft, die teilweise erst viel später bezahlt werden muss. Das heißt, ein Händler bestellt eine bestimmte Menge einer Platte und hat in vorher verhandelten Grenzen die Möglichkeit, nicht verkaufte Ware zurückzugeben, sie also zu retournieren – logischerweise zu dem Preis, den er ursprünglich dafür bezahlt hat oder hätte. Soweit die gängige Praxis.
Nun kann es aber vorkommen, dass ein Label oder Vertrieb eine bestimmte Anzahl Platten zu einem reduzierten Preis an den Handel abgeben möchte, weil vielleicht mehr Platten gepresst wurden als tatsächlich abverkaufen – oder es gab so viele Retouren, dass man diese Bestände ebenfalls zu einem niedrigeren Preis noch mal in den Handel bringen will. Mitunter nutzt man für diese Platten sogar andere Vertriebs- und Handelswege und verkauft sie an spezialisierte Großhändler. Auch das kennt man von anderen Waren und vor allem aus dem Buchhandel, in dem Mängelexemplare gezielt über Bücherhallen, Wühlkisten in Lebensmittelmärkten oder Verkaufsstellen in Tourismusgebieten angeboten werden. Damit sich dieses Geschäft lohnt, verkauft man solche stark reduzierten Platten ohne Retourenrecht. Das bedeutet: Die Händler kaufen ein Kontingent und bezahlen es sofort und ohne die Möglichkeit, nicht verkaufte Ware wieder zurückgeben zu können.
Die Kostenersparnis in der Abwicklung rechtfertigt den niedrigen Preis: Es müssen keine Kommissionsabrechnungen überwacht sowie keine Retouren geprüft, verwaltet und gelagert werden. Damit sich die Ware nicht nur im Preis von der regulären unterscheidet, sondern eben auch nicht als Neuware zu den ursprünglichen Konditionen retourniert werden kann, wird sie als Cut-out abgewertet. Es könnte ja sein, dass ein Händler, der ebenfalls sogenannte „frische“ Ware bestellt, zu einem späteren Zeitpunkt noch mal bei reduzierten Konvoluten zuschlägt, um sie dann später zum Originalpreis zu retournieren. Das wäre tatsächlich ein einträgliches Geschäft.
Markierungen oder bewusst herbeigefügte Defekte von Covern finden sich zudem bei Promo-Exemplaren, also Platten, die an Journalisten, Konzertveranstalter oder als Muster für Händler ausgegeben werden, in der Regel vor der Veröffentlichung. Hier hat die Wertminderung den hauptsächlichen Zweck, den Weiterverkauf zu unterbinden oder zumindest zu beschränken. Bei Handelsmustern kommt zusätzlich wiederum die Notwendigkeit ins Spiel, die Ware von einer Retournierung auszuschließen – der Händler soll keine Rückerstattung erhalten für eine Platte, die er nicht bezahlt hat. Für Sammler sind solche Cut-outs natürlich ein Ärgernis, vor allem, wenn sie von Verkäufern auf Internet-Plattformen nicht als solche gekennzeichnet werden. Interessanterweise gibt es aber auch Sammler, die gezielt Cut-outs suchen.
Die gute Nachricht für alle anderen ist, dass in den vergangenen Jahren recht wenige Cut-outs auf den Markt gekommen sind, da Platten vor dem Beginn des Plattenbooms 2013 und weit darüber hinaus entweder mit eingeschränktem oder grundsätzlich ohne Retourenrecht verkauft wurden. Die fehlende Möglichkeit, nicht verkaufte Ware zurückzuschicken, war übrigens einer der Gründe für eben diesen Boom, da er Labels und Plattenfirmen die Kalkulation vereinfachte und das Risiko einer Veröffentlichung überschaubar hielt. Deshalb setzten viele kleine Labels wieder vermehrt auf Vinyl. Physische Promo-Exemplare werden in Zeiten der digitalen Bemusterung seltener abgegeben. Entsprechender Druck aus dem Handel in Zeiten vieler Unwägbarkeiten hat nunmehr bereits dafür gesorgt, dass Retourenrecht auch heute wieder ein Thema ist. Ob das allerdings zu vermehrten Cut-outs führen wird darf bezweifelt werden. Platten und ihre Verpackung haben heute auch bei den Plattenfirmen und Vertrieben einen völlig anderen Stellenwert. Außerdem gibt es heute durch ausgefeiltere Technik andere Möglichkeiten, Retouren und den Verkauf überschüssiger Ware zu handhaben.